Was
ist das für ein Mensch, der schon zu Lebzeiten mit solch
Lob gehuldigt wird? Was ist das Geheimnis des Komponisten,
der sich als Vater der Karl-May-Musik, ein ewiges Denkmal
in der internationalen Film- und Fernsehmusik gebaut hat.
Was
seine beliebteste Musikrichtig ist, wie er all seine
Melodien schreibt, woher er die Inspiration holt und wie
er zum Forsthaus Falkenau kam erzählt er uns bei einem
Interview.
Wir
werfen einen Blick zurück in die Vergangenheit: Die erste
Station auf unserer Reise ist das Jahr 1927. Im goldenen
Berlin der zwanziger Jahre, erblickte Martin Böttcher als
zweites von drei Kindern das Licht der Welt.
Wurde
Ihnen das musikalische Talent in die Wiege gelegt?
Nicht
direkt, aber es spielte damals für mich persönlich eine
untergeordnete Rolle. Mein Großvater war seinerzeit
Hofkapellmeister in Weimar, aber das musikalische
Augenmerk lag damals eher bei meinem Bruder, der ein sehr
guter Pianist zwar. Ich bekam zwar Klavierunterricht, nur
langweilte mich schon damals die alten Lernmethoden meiner
Lehrerin und musikalisch hatte ich auch andere
Vorstellungen. So war das Lern- und Übungspensum bei mir
nicht gerade ausgeprägt. Es gab ja auch wichtigere Sachen
für einen echten Berliner Jungen meines Alter...
...
und das war für ihn die Fliegerei. Sein Ziel: Pilot zu
werden. Bereits mit 14 machte er seinen ersten
Segelflugschein und später die Luftfahrscheine.
Wurde
der Traum vom fliegen war?
Nein.
1942 wurde ich Luftwaffenhelfer, und damit war meine
Schulzeit so gut wie beendet. Damals flogen uns in Berlin
die Bomben nur so um die Ohren. Trotz aller Ängste
meldete ich mich 1943 – das siebzehnte Lebensjahre noch
nicht vollendet – freiwillig zur Luftwaffe. Zum
richtigen Kriegseinsatz in der Luftwaffe kam es jedoch
nicht. Wir wurden schließlich zur Verteidigung des
letzten Oder-Brückenkopfes herangezogen. Eine
Kriegsverletzung rettete mich vor den Russen...
...
bis Kriegsende blieb Martin Böttcher im Lazarett, kam
danach in englische Kriegsgefangenschaft.
Stimmt
es, dass Sie in dieser Zeit das Gitarrespielen gelernt
haben?
Ja,
während der Kriegsgefangenschaft lerne ich einen Funker
namens Gerd Hüns kennen. Er hatte eine Gitarre bei sich.
Wir nutzen die uns zur Verfügung stehende Zeit. Gerd Hüns
gab mir viele Tipps und weckte meine Leidenschaft. 16
Stunden übte ich wie ein Wilder auf meiner neuen Liebe.
Quasi im Do-it-Youself-Verfahren brachte ich mir alles
bei...
...
Die Gitarre wurde immer mehr zur seelischen Medizin. Der
Traum vom Fliegen war ausgeträumt, und so wurde aus einer
„Ersatzbefriedigung“ innerhalb kürzester Zeit eine
neue Leidenschaft: die Musik.
Wie
ging es nach der Kriegsgefangenschaft weiter?
Schneller
als gedacht, fand ich mit der Musik wieder Fuß in der
neuen jungen Gesellschaft. In Hamburg traf ich einen
Freund aus der Kriegsgefangenschaft. Er kannte mich und
meine Leidenschaft für die Gitarre, bat mich, am Abend
beim Auftritt in einem Radiosender mitzuspielen. Wenn ich
ehrlich bin, dann verdanke ich diesem Freund meine weitere
musikalische Laufbahn...
...
Während der Aufnahmen wurde Martin Böttcher von Willi
Steiner angesprochen, der ein hervorragendes,
international besetztes Orchester leitete...
Kannten
Sie Willi Steiner?
Er
behauptete es von Anfang an, und überzeugte mich schließlich.
1938 verdiente ich mir ein paar Pfennige als Balljunge im
Grunewalder Tennisclub. Steiner war zu dieser Zeit
Mitglied. So habe ich ihm schon als 11-jähriger die Bälle
zugeworfen.
...
Martin Böttcher nahm das Angebot an und startete seine
musikalische Karriere. Selbst in England wurde das von
Willi Steiner neufirmierte Orchester mit Hochachtung erwähnte.
Was
war ihre beliebteste Musikrichtung?
Die
Antwort fällt mir leicht. Zur damaligen Zeit war es der
Jazz. Als Gitarist schaffte ich es bis auf Platz 2 im
deutschen Jazz-Poll. 1950 war ein weiterer Karriereschritt
für Martin Böttcher. Der „Soundbastler“ spielte die
ersten Gitarrentrickaufnahmen in Deutschland ein. Doch
nicht nur als Gitarrist erfuhr er mehr und mehr Beachtung.
Schon zu dieser Zeit sammelte er als Assistent bekannter
Filmkomponisten wichtige Erfahrungen. Für den Film
„Liebe 47“ schrieb er erste Arrangements – als 22-jähriger!
Weitere Engagements folgten...
Wann
wechselten Sie endgültig ins Komponistenfach?
1952.
Ich verlies die sichere Arbeitsstelle im Orchester und
wurde freier Komponist. Ich hatte damals meine erste
Komposition „Opus Nr. 1“ geschrieben. Später wurde
diese von Hans Bradtke in „MMM“ umgedichtet. Wissen
Sie für was „MMM“ steht? „Mister Martins
Melodie“. In den folgenden Monaten knüpfte Martin Böttcher
erste Kontakte in die Filmbranche, die ihm später die Tür
für die erfolgreiche Arbeit öffnen sollten. „Die
Halbstarken“ – ein Meilenstein der jungen deutschen
Filmgeschichte, und Martin Böttcher war dabei. Bei dieser
Arbeit erfuhr er, was einem als Filmkomponist alles
wiederfahren kann. Er schrieb Filmmusik für Szenen, die
bereits drehfertig im Kasten waren. 1957 arbeite er
kurzeitig für DEFA bis eine weitere Begegnung sein Leben
als Filmmusiker nachhaltig verändern sollte. Wolfgang
Rademacher war von Martin Böttcher angetan und ebnete ihm
durch die gemeinsame Zusammenarbeit den Weg in die
bundesdeutsche Filmindustrie.
Wann
glückte der endgültige Durchbruch?
Oh,
das war schon lange vor den Karl May Filmen. 1958 muss es
gewesen sein. Ja, im Film „Endstation Liebe“ konnte
ich mein bis dahin komplettes Können zeigen. Egal ob
ruhige oder jazzige Kompositionen, alles war dabei. Eine
interessante Arbeit. Stellen Sie sich vor, sogar Romy
Schneider sang in diesem Film einen meiner Titel: „Merci,
Montpi“. In den folgenden Jahren folgten Kompositionen
zu einer Reihe von Filmen, die noch heute ein großes
Publikum anziehen. Beispiele gefällig? Hans Albers
schrieb er eigens für den Film „13 kleine Esel und der
Sonnenhof“, 3 Lieder auf den Leib. Weiter ging es Anfang
der 60iger Jahre mit Musiken für „Die Frau am dunklen
Fenster“, Pension Schöller (ein noch heute
vielgespieltes Theaterstück), Marina, Willy der
Privatdetektiv mit Willy Millowitsch, und für 2 weitere
Pater Brown Filme mit Heinz Rühmann
Haben
Sie nicht in dieser Zeit am European Song Contest
teilgenommen?
Als
dieser Wettbewerb noch in den Kinderschuhen steckte, und
doch schon zu den wichtigsten Preisen in der Musikbranche
galt, nahm ich teil. 1960 schrieb ich für Tony Sandler
den Titel „Oh wie schön“. Wir schlugen uns achtbar.
Landeten im vorderen Feld. Es blieb meine einzigste
Stippvisite auf dieser Bühne. Doch auch Martin Böttcher
hat seine Geheimnisse. Eins hüllt den Namen „Michael
Thomas“ ein..
Wer
ist Michael Thomas?
Michael
Thomas? Ein Komponist, der 500.000 verkaufte Singles des
„Hawaii Tattoo“ verkauft hat. Der mit diesem Stück
sogar in Amerika Beachtung gefunden hat. Ein Komponist,
der nicht an den Erfolg seiner Arbeit für die Filme
„Unser Haus in Kamerun“ und „Max, der Taschendieb“
geglaubt hatte. Aus letztem ist die besagte Melodie. Was
soll ich Ihnen vorenthalten. Ich bin Michael Thomas. Das
Pseudonym benutzte ich nur für diese beiden Filme, da ich
damals nicht die richtige Richtung zu dieser Musik fand.
Außerdem sagte ich mir, das muss nicht sein, dass da mein
Name draufsteht. Im nachhinein freute mich der Erfolg umso
mehr.
Schaffenspausen
kannte Martin Böttcher nicht. Immer neue Projekte
warteten auf ihn. Diesmal war es Edgar Wallace. Die dürsteten
Kriminalfälle aus England wurden durch seine Musik noch düsterer
und mysteriöser...
Hatten
Sie damals freie Hand?
Die
Zusammenarbeit mit Horst Wendlandt war immer von großem
Vertrauen geprägt. Wir benötigten keine Vorgaben. Alles
verlief locker und vertrauensvoll. Das Ergebnis gab uns
allen recht. Jetzt ist endlich die Zeit gekommen, dass wir
DIE FILMMUSIK aller FILMMUSIKEN ansprechen. 10 Filme
begleitete Martin Böttcher. Damit wurde der Nagel auf den
Kopf getroffen. Selbst wenn keine Bilder zu sehen sind,
die Melodien malen sie in die Köpfe der Zuhörer.
Stichwort
Karl May
Das
begleitet mich mein Leben lang. Obwohl ich damals und bis
heute noch keines seiner Bücher gelesen habe. Inspiriert
haben mich eher die weiten der Landschaft und die
atemberaubende Natur. Mehr brauchte ich nicht. Der Rest,
geschah dann fast wie von selbst...
...
fast wie von selbst, zauberte Martin Böttcher die Noten für
die Old Shatterhand-, Winnetou- und Old Surehand Melodie
auf die Notenblätter. Alle drei sind zu Klassikern der
deutschen Filmmusik, Exportschlager weltweit geworden.
Karl May Filme werden ewig in Verbindung mit Pierre Brice,
Lex Parker und Martin Böttcher genannt.
Dirigieren
Sie die Orchester bei Aufnahmen im Tonstudio selbst?
Meist
schon. Gerade auch bei den Karl May Filmen. Eine
Komposition ist erst perfekt, wenn sie vom Orchester in
unvergleichlicher Weise aufgenommen wurde. Genau aus
diesem Grund wollte ich dabei sein. Es gibt nicht schöneres...
Es
ist nicht übertrieben, wenn Martin Böttcher als der
erste europäische Westernkomponist bezeichnet wird. Durch
die Erfolge mit den Karl May Filmen zähle Martin Böttcher
zu den meistbeschäftigten Filmkomponisten.
Konnten
Sie damals alle Aufträge annehmen?
Nein,
ganz klar! Mit 37 Jahren bin ich kurz an einem Herzinfarkt
vorbei geschlittert. Ohne die mahnenden Worte meines
Arztes wäre vieles anders gekommen. Ich hörte auf ihn,
zog von Hamburg in die Schweiz. Dort genoss ich die Ruhe
und suchte mir die für mich interessanten Aufträge
aus...
...
in den nachfolgenden Jahren arbeitete Martin Böttcher
noch an weitere zahlreichen Filmproduktionen mit. Das
Kinosterben der späten 60iger Jahre zwang auch ihn sich
neu zu orientieren..
Verlief
der Übergang von Kino und Fernsehen fließend?
Glücklicherweise
für mich schon. Ich lebte damals von meinen Erfolgen der
letzten Jahre und konnte mir durch meinen Namen neue Möglichkeiten
eröffnen...
...
die Arbeit für das Fernsehen und den Rundfunk ist auf der
gleichen Basis aufgebaut, wie die für Kinofilme, denn
auch hier müssen Monotonie, Einsamkeit, Verliebstein,
Freude durch Musik ausgedrückt werden. Musik ist und
bleibt wichtigstes dramaturgisches Element im Filmgeschäft.
Egal ob auf großer Leinwand oder im kleinen
Flimmerkasten. Die Creme de la Creme an Fernsehserien –
Stahlnetz, Kriminalmuseum, Derrick, Der Alte –
untermalte er mit seinen unverwechselbaren Klängen.
Wie
verlief die Arbeit damals?
Wenn
ich die damalige Zeit, mit der heutigen vergleiche, dann
hatten wir ein kleines Paradies. Die Etats stimmten. Heute
bringen sie einen nur noch zum Weinen. Trotzdem habe ich
meine Zusagen nie vom Etat abhängig gemacht. Eher reizten
mich die neuen Aufgaben...
...
so langsam näheren wir uns den 80iger Jahren. In diesen
Jahren arbeitete Martin Böttcher vermehrt an kompletten
Serienproduktionen mit. Neben Bahnhofgeschichten,
Trotzkopf, Schöne Ferien, landete er beim Forsthaus
Falkenau...
...
die Titelmusik begleitet die Zuschauer seit mehr als 15
Jahren. Dabei ist die Entstehung der selben doch schon
ziemlich kurios.
Erzählen
Sie uns davon?
Ja
klar, denn das ist schon etwas komisch gelaufen damals.
Eigentlich hatte das ZDF mich für die
„Schwarzwaldklinik“ als Komponist engagieren wollen.
Das scheiterte leider am geringen Etat. Die Titelmusik
hatte ich aber bereits geschrieben. Na und als dann das
Angebot für Forsthaus Falkenau kam, nahmen wir den
Originalvorschlag der Schwarzwaldklinik für das
Forsthaus. Schon kurios gelaufen damals....
...
die Zusammenarbeit dauerte die komplette erste Staffel der
Serie. In den folgenden Staffeln war Martin Böttcher
nicht mehr mit dabei. Geblieben ist jedoch die Titelmusik,
die in den letzten Jahren etwas verändert, aber trotzdem
unverkennbar bleibt.
Wie
schreiben Sie all ihre Melodien? Woher holen Sie
die Inspiration?
Ich
schreibe aus dem Bauch heraus. Mich inspirieren Bilder.
Bilder einer einzelnen Szene. Mehr brauche ich nicht. Das
übrige tut der Klang. Ich schreibe wie ich empfinde.
Schon während ich schreibe, klingen die fertigen
Arrangements in meinem Ohr. Wichtig sind mir immer die
Solisten einer Melodie gewesen. Ich mag die persönliche
Note, die ein einzelner in die Noten interpretieren kann.
Ist
die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Komponist
einfach?
Es
muss von Anfang Vertrauen da sein. Jeder weiß vom anderen
was er erwartet, wo Stärken und Schwächen liegen. Wenn
das alles geklärt ist, hat man meist auch wenige
Reibungspunkte mit den Produzenten.
Haben
Sie Vorbilder?
Henry
Mancini kann ich da nennen. Ich hatte das Glück ihn persönlich
zu kennen. Vom Sound her, war er für mich ein großartiger
Lehrmeister. Herr Böttcher, eine Frage brennt uns am Ende
des Gespräches noch unter den Nägeln:
Was
verbinden Sie mit surfen?
Jede
Menge. Der Sport ist eine große Leidenschaft von mir. Ich
erzähle stolz, dass ich das erste Surfbrett in
Deutschland besaß und damit vielleicht die Welle der
Surfer vorangetrieben habe.
Vielen
Dank für das nette Gespräch und die offenen Worte. Alles
Gute für die nächsten Jahre.
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